Cover
Titel
A Technological History of Cold-War India, 1947–1969. Autarky and Foreign Aid


Autor(en)
Logan, William A. T.
Reihe
Palgrave Studies in the History of Science and Technology
Erschienen
Anzahl Seiten
282 S.
Preis
€ 106,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Homberg, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

An einem sonnigen Oktobermorgen 1963 kamen über 50.000 Menschen an den Ausläufern der Siwaliks, der Vorgebirgskette des Himalayas, im Nordwesten Indiens zusammen, um der Einweihung der Bhakra-Talsperre beizuwohnen. Nach über 15 Jahren war der mehr als 500 Meter lange und 170 Meter hohe Damm zu einem Sinnbild der gigantischen Entwicklungsvorhaben zur Wasser- und Energieversorgung des Landes herangewachsen. Euphorisch kommentierte der Eastern Economist, der Bhakra-Damm sei „a symbol of the nation’s unity, its struggle against poverty and hunger and of the growing confidence to undertake mighty risks”. Und Premierminister Jawaharlal Nehru prägte am Rande der Einweihungszeremonie gar die berühmten Worte, das Bauwerk gehöre fortan zu den „new temples of India“ (S. 3f.). Mit dieser viel zitierten Episode beginnt die überaus lesenswerte, akribisch recherchierte und klar argumentierende Studie des amerikanischen Historikers William A.T. Logan zur Technologiegeschichte des modernen Indiens, dessen politische Ziele in den Jahren des Kalten Krieges zwischen Autarkieansprüchen und der Jagd nach ausländischen Entwicklungsgeldern changierten.

Forschungen zu den Glaubenssätzen dieser Entwicklungsdoktrin, die unter Nehru zur Staatsräson der indischen Republik nach 1947 avancierte, und ihren modernisierungstheoretischen Fundamenten sind inzwischen Legion. Dabei sind neben den abstrakten Konzepten immer wieder auch die konkreten Vorhaben der politischen, ökonomischen und technologischen Entwicklung des Landes in den Fokus der Betrachtung gerückt. Im Anschluss an Daniel Headricks wegweisende Studie The Tentacles of Progress zur ambivalenten, zwischen Disziplinierung und Emanzipation oszillierenden Rolle moderner Technologien in der kolonialen Ära1 sowie neuere, einschlägige Monographien zur Geschichte politischer Planungen und technologischer Entwicklungen im Zeichen von Dekolonisation und Globalem Kalten Krieg2 setzt sich der Autor daher das ambitionierte Ziel, die viel untersuchten Dekaden der 1950er- und 1960er-Jahre neu zu beleuchten (S. 7 und 10f.).

Logans Studie gliedert sich – nach einer kurzen Einleitung (Kap. 1) – in acht, thematisch geordnete Kapitel, die verschiedene Perspektiven auf die Technologiegeschichte des Landes entwickeln. Zu Beginn widmet sich der Autor dazu den Voraussetzungen und Wegmarken der „Industriellen Revolution“ in Indien (Kap. 2). Dabei skizziert er in aller Kürze die Ursprünge der Suche nach „Unabhängigkeit“ in der sagenumwobenen Swadeshi-Bewegung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, um sodann den wachsenden „Träumen“ von einem „neuen Indien“ als politisch und ökonomisch unabhängiger Nation nachzuspüren. Überzeugend kann er in der Folge die – vor allem ökonomischen – Einschränkungen technologischer Autarkiebestrebungen in der Nehru-Ära nachzeichnen, die aus den Begrenzungen der importsubstituierenden Industrialisierung des Landes resultieren: „While technology continued to change outside of India and foreign economies continued to grow, autarky remained an ever receding dream.“ (S. 40) Schließlich schildert er, im ebenso pointierten dritten Kapitel, alsdann Indiens Rolle in der Mächtekonkurrenz des Kalten Krieges sowie Nehrus „Schaukelpolitik“ zwischen den USA und der UdSSR als Schlüssel zur Akquise von Entwicklungsgeldern.

Die weiteren Kapitel des Buches widmen sich verschiedenen Entwicklungsvorhaben, die – wie die Akquise eines amerikanischen Jets für die Indian Air Force (Kap. 4) und die Rüstungspolitik im Bereich der Flugabwehr in der Folge des indisch-chinesischen Grenzkrieges 1962 (Kap. 5), aber auch die Pläne zum Ausbau nuklearer Energieversorgung im AKW Tarapur vor der Folie der Kaschmir-Kriege (Kap. 8) – die enge Verbindung von zivilen und militärischen Ambitionen in verschiedenen Feldern der Technologienation verdeutlichen. Eingehend wird überdies die Erweiterung des Eisenbahnnetzes und der Bau von Brücken, Straßen und Dämmen (Kap. 6 und 7) analysiert, wobei es dem Autor an vielen Stellen in beeindruckender Weise gelingt, den Bogen von der Ebene der (inter-)nationalen Planungen und Aushandlungen zur Ebene der lokalen Implementierung zu schlagen.

Exemplarisch bezeugen die Versuche der Konstruktion eines Kampfjets made in India, wie stark die nationalen Autarkiebestrebungen letztlich an internationale Netzwerke und Kooperationen gebunden waren. So bemühte sich die in Bangalore ansässige Hindustan Aeronautics Ltd. (S. 75f.) beim Versuch, importierte Fighter aus England oder Frankreich durch einheimische Flugzeuge zu ersetzen, um die Expertise ehemaliger NS-Ingenieure und setzte dazu ein deutsch-indisches Team ein. Unter den Ingenieuren war auch der deutsche Flugzeugkonstrukteur und Flieger Kurt W. Tank, der zuvor – im Zuge des „Nazi Aerospace exodus“3 – bereits als Berater in Argentinien im Einsatz gewesen war (S. 85–89). Im Zuge dieses globalen Expertenaustauschs gab Indien alsbald auch eigene Expertise an andere Entwicklungsländer wie Ägypten weiter, das unter Gamal Abdel Nasser seinerseits ein Flugzeug-Entwicklungsprogramm begonnen hatte. Trotz aller Anstrengungen gelang es Indien indes nie, wie Logan zeigen kann, eine Serienproduktion eigener Jets zu starten, was vor allem daran lag, dass das Land auch weiterhin knapp 50 Prozent der Komponenten importieren musste, und es so etwa an leistungsstarken Motoren mangelte. Schlussendlich scheiterten die Bemühungen „not from lack of technical ability or political commitment“ als vielmehr „because of economic factors“ (S. 99), so der Autor, weshalb bis zum Ende der 1960er-Jahre die Akquise und Adaption von Komponenten aus dem Ausland, allen voran aus Großbritannien, den USA und der UdSSR das vorrangige Kalkül geblieben sei. Ein ähnliches Bild zeigte sich auch bei Flugabwehr- und Radarsystemen, wobei sich hier gerade Importe von High-Tech-Produkten über das US Military Assistance Program durch Indiens „bündnisfreien“ Kurs bisweilen verkomplizierten (S. 129–132).

Schlüssig argumentiert der Autor, dass neben dem Austausch von „Hardware“ auch die Verbreitung von „Expertenwissen“ im Zuge der Entwicklungskooperationen nach 1947 zu einem wichtigen Fundament der indischen Technologienation wurde, wobei die Wurzeln des skizzierten Wissensaustauschs – wie Logan am Beispiel des Ausbaus der Eisenbahnnetze in der Hochphase des Kalten Krieges zeigen kann – durchaus bis in die koloniale Ära zurückreichten (S. 138–140 und 152–157).

Die letzten drei Kapitel, die sich dem Ausbau der Energie- und insbesondere der Elektrizitätsversorgung widmen – „no other technology is as emblematic of twentieth century modernity – or as representative of its empty promises – as electric power“ (S. 165), so Logan – variieren alsdann gängige Narrative zur Genese der Technologienation. Dazu zählte auch die Sorge der Supermächte vor dem Erstarken eines „nuclear state“ in Indien (S. 202–206 und 218–221), die, unbesehen aller letztlich gewinnbringenden Kooperationen, doch vor allem die Grenzen des ausländischen Engagements erklärte. Überraschen kann dagegen die mikrohistorische Perspektive des Schlusskapitels, in dem in gelungener Weise die Arbeitswelten der „Tarapur Atomic Power Station“ (inklusive der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen angesichts bestehender Gesundheitsrisiken) beschrieben werden und so die vielgestaltigen Akteure des Wandels nochmals in den Fokus rücken (S. 223–260).

Insgesamt kann das Buch durch viele neue Erkenntnisse und spannende Perspektiven überzeugen. Hervorzuheben ist die breite Quellenbasis, darunter publizistische und edierte Quellen, aber auch Akten aus indischen und amerikanischen Archiven, wobei die starke, der Quellenauswahl geschuldete indo-amerikanische Perspektive in einigen Passagen kritisch anzumerken bliebe. Hier hätte es sich angeboten, Zeugnisse aus britischen, deutschen oder russischen Archiven einzubeziehen, um ein noch vielschichtigeres Bild der Zusammenhänge zu zeichnen. Zudem wäre es möglich gewesen, die Erkenntnisse der neueren Forschung zur Geschichte Indiens nach 1947 im Allgemeinen wie auch zur Genese der Technologienation im Besonderen4 noch stärker zu berücksichtigen. Indem einmal mehr die Jahre bis 1970 im Fokus des Buches stehen, vergibt der Autor zudem die Chance, neue Narrative zu entwickeln, die es erlauben, längere Linien ziehen und Entwicklungen nachzeichnen, wie sie das Land in den vergangenen Dekaden prägten, darunter die Jahre des „Ausnahmezustands“ und die politisch wie ökonomisch wechselvollen 1980er- und 1990er-Jahre, die inzwischen zusehends ins Zentrum historischer Arbeiten rücken.5 Es muss denn auch verwundern, dass die Entwicklung der Nachrichten- und Computertechnik in der gesamten Genese von Logans „technological history“ nahezu keine Erwähnung findet, wiewohl ihre Ursprünge in Indien durchaus bereits in der Frühphase der Republik lagen und auch danach zentrale Relevanz besaßen.

Misst man Logan daher an der von ihm einleitend skizzierten Frage, was das Indien des Jahres 1940 – das Jahr, in dem Daniel Headricks Darstellung endete – vom Indien der 2010er-Jahre („the India […] I knew“) trennte, und bewertet dazu seinen Versuch, die Geschichte zentraler Technologien zu erkunden, die Indiens Weg ebneten „from being a colony with limited mechanized industry to a major industrial power“ (S. 6f.), so bliebe er deutlich hinter seinem eigenen Anspruch zurück. Zugleich, so könnte man einwenden, erschien der speziell in den Schlusspassagen des Buches anklingende Versuch, das Erbe der Nehru-Ära, dessen gelenkte Ökonomie und technokratische Planungseuphorie vor der (Negativ-)Folie der neoliberalen Periode nach 1990 neu zu bewerten und als ein „visionäres“ Programm zu würdigen, das trotz aller Unzulänglichkeiten im Dienste der Bevölkerung stand, doch arg plakativ. Indem Logan indes über weite Passagen des Buches gegen eine teleologische, zumal nationalgeschichtlich verengte Perspektive anschreibt, kann er der Forschung zur Geschichte des modernen Indiens aber durchaus viele anregende Impulse geben und neue, vielversprechende Wege weisen.

Anmerkungen:
1 Daniel R. Headrick, The Tentacles of Progress. Technology Transfer in the Age of Imperialism, New York 1988. Eingangs der 1980er-Jahre prägte Headrick bereits die viel zitierte These von Technologien als „Tools of Empire“.
2 Nick Cullather, The Hungry World. America’s Cold War Battle against Poverty in Asia, Cambridge, MA 2013; David Arnold, Everyday Technology. Machines and the Making of India’s Modernity, Chicago 2013; Ross Bassett, The Technological Indian, Cambridge, MA 2016; Ramachandra Guha, India after Gandhi. The History of the World’s Largest Democracy, London 2017; David C. Engerman, The Price of Aid. The Economic Cold War in India, Cambridge, MA 2018.
3 Michael J. Neufeld, The Nazi Aerospace Exodus. Toward a Global, Transnational History, in: History and Technology 28, 1 (2012), S. 49–67.
4 Vgl. dazu exemplarisch Biswarup Sen, Digital Politics and Culture in India. The Making of an Info-Nation, London 2017; Arun Sukumar, Midnight’s Machines. A Political History of Technology in India, Gurgaon 2019; Nikhil Menon, ‘Fancy Calculating Machine’. Computers and Planning in Independent India, in: Modern Asian Studies 52, 2 (2018), S. 421–457; ders., Planning Democracy. Modern India’s Quest for Development, Cambridge 2022.
5 Vgl. Sumit Ganguly / Rahul Mukherji, India since 1980, New York 2011; Bipan Chandra, In the Name of Democracy. The JP Movement and the Emergency, New Delhi [2003] 2017; Gyan Prakash, Emergency Chronicles. Indira Gandhi and Democracy’s Turning Point, Princeton/Oxford 2019; Sanjaya Baru, India’s Power Elite. Class, Caste and Cultural Revolution, Gurgaon 2021. Aus der Vielzahl aktueller sozialwissenschaftlicher Forschungen zum Wechselverhältnis von Politik, Ökonomie und Technologie in Indien vgl. exemplarisch Ravi Agrawal, India Connected. How the Smartphone Is Transforming the World’s Largest Democracy, Oxford 2018.

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